Viele Namen – eine Sprache
Plattdeutsch, Platt, Sassisch, Niedersächsisch, Niederländisch – Alle diese Namen meinen oder meinten dieselbe Sprache.
Von alters her hieß unsere Sprache „Sächsisch“, bzw. „Sassisch“, denn es war die Sprache der Sachsen, eines germanischen Stammesverbundes, der im heutigen Nordwestdeutschland bis zur dänischen Grenze und in den östlichen Teilen der angrenzenden Niederlande zu Hause war. Die nächsten Verwandten der alten Sachsen waren nicht die binnengermanischen, später deutschen Stämme, sondern die Engländer, genauer die Angelsachsen. Illustrieren mag die alte Verwandtschaft der sächsische Einheitsplural:
Altenglisch:
We doth
Gie doth
Hie doth
Niedersächsisch:
Wi doot
Ji doot
Se doot
Weiter darf man zu den sprachverwandten Völkern der Sachsen auch die Friesen rechnen. Diese nordseegermanische Sprachgruppe bildete einst ein Übergangsfeld zwischen der nordgermanischen (skandinavischen) Gruppe und den südgermanischen (deutschen) Dialekten. Durch die gewaltsame Aneignung Frieslands und Sachsens durch Karl den Großen gerieten diese Stämme unter fränkischen, bzw. deutschen Einfluss. Wir müssen sagen „Leider!“, denn viele der nordseegermanischen Eigenheiten des Sächsischen wurden aufgegeben und die Sprache dem binnengermanischen Typus angeglichen. Aber das Altsächsische bewahrte, ebenso wie das Friesische und auch das Niederfränkische die alten germanischen Konsonanten. Während der Hansezeit hatte das Sächsische eine kleine Renaissance und wurde die wichtigste Handelssprache in Nordeuropa. Viele skandinavische Küstenstädte waren zeitweise sogar zweisprachig. Auch heute noch kann man den großen Einfluss des Niederdeutschen zum Beispiel auf das Norwegische nachweisen. Die alte Verwandtschaft der Sprachen aus germanischer Zeit hat sicher diese Annäherung erleichtert.
Mit dem Wort „Niederländisch“ und „Niederdeutsch“ fasste man im Mittelalter meist Niedersächsisch und Niederfränkisch (gemeint ist Holländisch) zusammen. Nachdem die Niederlande 1648 aus dem deutschen Reich ausgeschieden waren, begann von den Niederlanden ausgehend eine Umdeutung der Begriffe. „Niederländisch“ und „Niederdeutsch“ wurden nun nicht mehr Synonym gebraucht, „Niederländisch“ wurde zum Namen für das „Holländische“, „Niederdeutsch“ und „Plattdeutsch“ wurden immer mehr zu Begriffen, die lediglich das „Niedersächsische“ meinten. Wie so oft waren also nicht linguistische, sondern politische Gründe die Ursache für die Benennung der Sprache. So ist tragischerweise ausgerechnet die Sprache „Plattdeutsch“ genannt worden, die ursprünglich die weniger deutsche war, während umgekehrt eine fränkische Mundart ihre Selbständigkeit behaupten konnte und aus dem deutschen Sprachzusammenhang ausschied. Anhand des Niederländischen lässt sich zeigen, wie sehr politische Begebenheiten die Entwicklung einer Sprache beeinflussen. Welche Chancen für das Niederdeutsche hätten in einer vollständig vom Reich losgesagten Hanse gelegen?
Das Wort „Sächsisch“ wanderte derweil die Elbe aufwärts. Verbunden mit der Kurwürde gelangte es in den Osten Deutschlands, in ein Land, in dem keine Sachsen lebten und in dem niemand Sächsisch sprach, und wurde doch schließlich zum Synonym für einen hochdeutschen Dialekt, das „Obersächsische“, oder korrekter „Meißnische“. Diesen Namensdiebstahl muss man aus niederdeutscher Sicht natürlich bedauern, denn damit ist eine Benennung der eigenen Sprache als „Sächsisch“ im deutschen Bundesgebiet beinahe unmöglich geworden. Mit dem Wort „Niederdeutsch“ oder „Plattdeutsch“ wird allerdings ein Abhängigkeitsverhältnis zum Deutschen unterstellt, und so ist es auch kein Wunder, dass zum Beispiel Bayern stolz ihre Stammesart behaupten, während die alten Sachsen im bundesdeutschen Einerlei zu verschwinden drohen.
Wenn wir das Wort „Niedersächsisch“ als Synonym für „Plattdeutsch“ gebrauchen, dann meinen wir nicht das deutsche Bundesland Niedersachsen, sondern die Sprache der Sachsen. Hier stellen wir kurz die wichtigsten niedersächsischen Dialektgebiete vor:
Westfälisch
Westfalen ist politisch dem Rheinland angegliedert, Stammesgeschichtlich sind die Westfalen aber natürlich Niedersachsen. Der Westfale Widukind war einst die Führungsfigur im Widerstand gegen Karl. Das Westfälische hat im sächsischen Sprachgebiet schon immer eine Sonderstellung gehabt. Erklärungsversuche dafür gibt es viele, zum Beispiel vermutete man keltischen Einfluss. Heute fällt das Westfälische durch folgende Besonderheiten auf:
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Unglaublich viele Diphtonge, die nur ein echter Westfale aussprechen kann
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Langes ie an Stellen, an denen die Niedersachsen sonst gerne ein ü oder ö sagen
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Anlautend g wird oft wie ch, anlautend germanisch sk, wird of wie s-ch gsprochen, wodurch das Westfälische einen leicht holländischen Sound erhält
Ostfälisch
Wie der Name schon sagt, ist dies das Gebiet östlich von Westfalen. Das ehemalige, vom Stammesnamen der Angrivarier abgeleitete engrische Gebiet rechnet sprachlich auch dem Ostfälischen zu. Das Ostfälische beginnt in der Heide, Kerngebiet ist in etwa Nienburg, und es reicht im Süden bis an die alte sächsische Stammesgrenze im Raum Göttingen. Typisch für das Ostfälische sind
- Diphtonge, ähnlich wie bei den Westfalen, aber nicht ganz so ausgeprägt. Beispiel: teuben oder teuven statt töven
- mik und dik für mi und di, im Gebiet um Hannover auch mek und dek und Erhalt von Altgermanisch ek für ich
- Im Süden auch ch für anlautend g.
Das Gebiet des Ostfälischen ist weniger einheitlicher als das des Westfälischen und zeigt Übergangsformen an den Rändern. Kennwort ist „küren“ für „sprechen“.
Nedersaksisch
Ganz im Westen, schon auf niederländischem Staatsgebiet begegnet uns das „Nedersaksisch“ der Regionen Groningen und Drenthe. Diese Mundart zeigt eine starke Beeinflussung durch das Holländische. Gronings ist zwar ein niedersächsischer Dialekt, gehört aber wegen den Besonderheiten der Sprache und wegen der Zugehörigkeit zum niederländischen Staatsgebiet in den Bereich der niederländischen Linguistik. Die Nachbarsprache auf dem Bundesgebiet ist
Ostfriesisch
Ursprünglich sprachen die Ostfriesen Friesisch. Beim Sprachwechsel zum Niederdeutschen blieben viele ostfriesische Besonderheiten erhalten, wie zum Beispiel:
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Ausbau der nordseegermanischen Personalpronomen: Neben he für er gibt es hum oder hüm für ihn und hör für ihr
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Der sächsiche Einheitsplural auf –et ist ersetzt durch –en.
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Friesische Wörter wie „Wicht“ für „Mädchen“
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Häufig Erhalt von germanisch –sk, im Anlaut zuweilen auch Sch-k
Hinzu kommt, dass Ostfriesland stark vom Niederländischen beeinflusst wurde. Viele niederländische Wörter wanderten ins Ostfriesische. Oostfreesk gilt allgemein als eine Sprache des Übergangs zu den benachbarten Niederlanden. Es ist wahrscheinlich der plattdeutsche Dialekt, der am wenigsten „deutsch“ klingt. Nicht immer ist es einfach zu hören, ob ein Wort im Ostfriesischen altertümliches Platt, Friesisch oder Holländisch ist. Ostfriesland gilt auch als die Region mit der größten Sprecherdichte. Es kann sein, dass langfristig unsere sassische Sprache nur im Gebiet der Friesen überlebt. Kennwort für das Ostfriesische ist „pråten“ für sprechen.
Nordniedersächsisch
Dieser Begriff umfasst eigentlich das ganze weitere nordwestniederdeutsche Sprachgebiet bis zur dänischen Grenze. Kennzeichen ist das Fehlen typischer Kennzeichen. Es herrscht ein gewisser Hang zur Monophtongierung. Für viele ist das „Nordniedersächsische“ das Platt schlechthin. Dies hat auch mit der Wirkung der Medien und der überregionalen Bedeutung der Städte Bremen und Hamburg zu tun, wobei berücksichtigt werden muss, dass das Platt, das viele für „Hamburgisch“ halten, das typische „Ohnsorg“-Platt in Wirklichkeit schon mehr eine Art „Missingsch“ darstellt. Um der allgemeinen Verständlichkeit willen, entwickelt sich das im NDR vorherrschende Nordniedersächsische zunehmend in Richtung „Deutsch“. Ein Kuriosum besonderer Art ist die Aufgabe von sn zugunsten von schn- wie im Deutschen. Viele Plattsnakker in der Gegend von Hamburg sagen „schnacken“, während gleichzeitig das „S-tolpern übern s-pitzen S-tein“ als typisch norddeutsch gilt. Gebiete in Schleswig-Holstein, die früher friesisch, dänisch oder slawisch waren, haben statt des sächsischen Einheitsplurals den Plural mit –en. In der Hansezeit war es besonders das Sassisch Lübecks, das eine gewisse überregionale Bedeutung erlangte. Kennwort für den Norden ist „snacken“ für „sprechen“.
Mecklenburgisch-Vorpommersch
Der Nordosten Deutschlands wurde während der Völkerwanderungszeit größtenteils von den einheimischen germanischen Stämmen geräumt. Nachrückend siedelten sich hier slawische Völker an. Im Mittelalter kamen neue Siedler aus Nordwestdeutschland, aber auch Niederländer und brachten ihre Sprache mit. Das Mecklenburgisch-Vorpommersche hat den Einheitsplural auf –en. Mit dem großen Fritz Reuter hat der Osten eine der großen Gestalten niederdeutscher Literatur hervorgebracht. Typisch sind die zahlreichen Bildungen mit –ing, wie hier im Namen „Fritzing“ für „Fritz“, so auch „Hüsing“ für „Zu Hause“ oder „Tieding“ für „Zeitung“. Die Bildung mit –ing hat sich hier erhalten. Mecklenburg war zeitweise schwedisch. Neben slawischen findet man vereinzelt auch skandinavische Wörter wie das berühmte „Julklapp“. Beliebt ist die Schreibweise å für dumpfes a.
Im Osten reichte das niederdeutsche Sprachgebiet einst bis Magdeburg und sogar bis Berlin. Im typischen Berlinerisch findet man noch Reste niederdeutscher Sprache. Diese Gebiete werden zusammen gefasst unter dem Wort Märkisch-Brandenburgisch, verfügen aber kaum noch über eine nennenswerte plattdeutsche Sprecherzahl.
Ausgestorben ist das Ostpreußische. Davon geblieben ist uns nur das berühmte „Anke van Tharaw“.
Eine Besonderheit ist das hauptsächlich in Übersee gesprochene Plautdietsch. Dieses klingt teilweise sehr altertümlich und ist auch für echte Niedersachsen nur schwer zu lesen und zu verstehen.
Wer sich einen kleinen Überblick über das Niederdeutsche verschaffen will, dem sei die „Niederdeutsche Grammatik“ des Instituts für niederdeutsche Sprache, Bremen anempfohlen. Ferner sei auf die Internetseite www.deutsch-plattdeutsch.de verwiesen.