Germanistische Notizen

Neue Studie zur Herkunft der Angelsachsen

2022 erschien eine neue, breit angelegte Studie zur Herkunft der Angelsachsen/Engländer, bzw. zu ihrer Abstammung und zur Frage der germanischen Einwanderung am Ende der römischen Epoche. Die Studie ist insbesondere für Niederdeutsche interessant, bestätigt sie doch indirekt das gemeinsame alte Erbe und die Einbindung Niederdeutschlands in einen größeren, nordseegermanischen Raum. In der Studie wurden Gräber verglichen und beschrieben und Funde genetisch ausgewertet. Es zeigte sich, dass, entgegen den Deutungen der Hyperkritik der vergangenen Jahrzehnte, doch eine größere Einwanderung durch germanische Vollksgruppen in Britannien stattgefunden hat. Bei den Begräbnisriten zeigt sich eine deutliche Abkehr vom christlichen Ritus und dies sowohl für Frauen als für Männer. Auch scheinen mehr Frauen, d.h. angelsächsische Familien ins Land gekommen zu sein und eben nicht nur eine kleine Elite. In einigen seltenen Fällen konnten “genetische Kelten” nachgewiesen werden, die “germanisiert” worden waren, zum Beispiel mit einem Sachs nach germanischer Sitte beerdigt worden waren. Bei den männlichen Haplogruppen findet ein Wechsel vom typischen keltischen (bzw. westeuropäischen) Marker R1b zur typischen germanischen Mischung statt: Zu R1b, die nach der Eroberung Britanniens durch die Glockenbecherleute und die späteren Kelten fast die einzige Haplogruppe war, kommen hinzu R1a (ansonsten auch osteuropäisch, hier sei erinnert, dass “Germanisch” in einer Art genetischer Schnittmenge zwischen keltisch R1b und slawisch/baltisch R1a entsteht), sowie die alten, indigenen Gruppen I1 und I2. Insbesondere der Anteil an I1 ist fast immer ein Hinweis auf eine germanische Bevölkerung mit bronzezeitlich-skandinavischer Abstammung. Der Anteil der angelsächsischen Gene in der Bevölkerung Englands scheint im frühen Mittelalter zum Teil bis 76% zu gehen, das ist höher als heute. Im Verlauf des Mittelalters wird der “nordische” Genanteil noch durch die Kolonien der Wikinger etwas erhöht, später kommen fränkisch-französische Anteile hinzu (wobei es vereinzelt auch schon früher fränkische Spuren gibt) und das keltische Element scheint sich etwas zu erholen, so dass indigene Engländer heute nur noch zu etwa 45% Angelsachsen im ursprünglichen Sinne sind. Besonders interessant sind hier auch die einzelnen Anteile, denn die Studie differenziert die germanischen Quellen der genetischen Abdrücke nach ihrer Herkunftregion. Ein Schwerpunkt ist dabei Niedersachsen mit dem Elbe-Weser-Gebiet. Dies war auch schon aus archäologischen Gründen schon lange vermutet worden. Das genetische Band reicht aber von Holland/Friesland bis nach Südschweden. Friesland scheint nur einen kleinen genetischen Anteil zu haben (5%), ebenso klein ist am östlichen Ende des Bandes der Anteil Schwedens, aber immerhin auch noch 5%. Ein weiterer Schwerpunkt ist neben Jütland Dänemark mit Seeland. Daraus lässt sich folgendes abzeichnen: Die angelsächsische Eroberung Südbritanniens war vermutlich längere Zeit geplant, schien ein Massenereignis gewesen zu sein und war tatsächlich Teil der Völkerwanderung und nicht, wie etwa die fränkische Eroberung Galliens das Projekt eines Kriegerverbundes. Tatsächlich gingen Teile der Stämme auf Wanderschaft. Die Abwanderung der Angeln scheint auch real. Es scheint aber ein germanisches Großereignis gewesen zu sein, welches bis nach Schweden ausstrahlte. Hier sollte noch einmal deutlicher die besondere Rolle des Nordseegermanischen als Mittelsprache zwischen Deutsch/Südgermanisch und Skandinavisch/Nordgermanisch betrachtet werden. Auch das Problem der Herkunft der “Sachsen”, die es bei Tacitus als Stamm noch nicht gibt, könnte von dieser Studie vielleicht neue Impulse erhalten. “Sachse” war vielleicht ursprünglich vielmehr eine bestimmte an die See und die Schifffahrt gebundene Lebensform wie später das Wort “Wikinger” als wirklich ein bestimmter Stamm. Auch die Ähnlichkeit des Sutton Hoo-Helmes mit Vorbildern aus Vendel spricht für Beziehungen der Angelsachsen nach Skandinavien. Erinnert sei auch an die “Wulfinge” im Beowulf, die als ursprünglich gotisch, bzw, gautisch angesehen werden und möglicherweise mit dem Königshaus Ost-Angliens in Verbindung stehen. Diese Beziehungen scheinen sich im Laufe der Christianisierung gelockert zu haben, nun wird (auch genetisch nachweisbar) der fränkische Einfluss größer, bis es in der Wikingerzeit es eine regelrechte Opposition, bzw. Feindschaft zwischen Angelsachsen und Skandinaviern gibt. Gleichzeitig entsteht mit der Abwanderung insbesondere der Angeln eine Lücke im Kontinuum. Jetzt erst durch das neu entstehende Nordseegermanische trennen sich Nordisch und Kontinentalwestgermanisch (Deutsch) wirklich und die Sprachgrenze, die heute zwischen Deutschland und Skandinavien besteht, beginnt sich zu entwickeln, sie ist nicht der natürliche Zustand, sondern Ergebnis der politischen Umbauten des frühen Mittelalters, das mit der Zwangsmissionierung der Festlandsachsen schließlich einen ersten Abschluss fand. Dass der friesische Gen-Abdruck sehr gering ist, mag damit zusammenhängen, dass die Friesen selbst ein germanischer Mischstamm sind, der vor allem vermutlich jütisch beeinflusst wurde. Auch für das Problem des nordseegermanischen Kontinuums bietet die Studie neue Deutungsmöglichkeiten: Nordseegermanisch muss gar nicht ursprünglich, im Sinne “sehr alt” sein, sondern kann sich auch erst im Laufe der Wanderungen entwickelt haben mit einem Schwerpunkt in England, das aber zunächst seine alten Verbindungen beibehält. Dies würde die Nähe zum Nordischen erklären, erinnert sei hier an die altenglischen Personalpronomen, so hat Altenglisch neben der Form “he” für er, die bis nach Südniedersachsen reicht, auch die weibliche Form mit h- durchgeführt, nämlich heo für sie (vergl. schwedisch “han” und “hon”), andererseits aber auch andere Probleme erklären, so zum Beispiel die Frage, warum Niedersächsisch weniger Ingwäonisch ist als Friesisch, obwohl es nördlicher liegt (die Nordfriesen wandern erst später in Richtung Dänemark). Ich erinnere hier an den Aufsatz “Friesisch und Nordseegermanisch” von Hans Kuhn von 1955. Die Niedersachsen waren ursprünglich keine Nordseegermanen, vielleicht mit Ausnahme der Chauken, die auch früh mit der typisch germanischen Seefahrt in Zusammenhang gebracht werden, sondern wurden nordseegermanisch überlagert, zu einer Zeit als Nordseegermanisch überhaupt erst entstand und ein wichtiger Teil dieser Nordseesachsen wanderte nach England aus. Friesisch ist anglisch oder gar jütisch beeinflusst und deswegen nordseegermanischer als Plattdeutsch. Das vermeintliche nordseegermanische Substrat im Holländischen ist vermutlich kein älteres Substrat, sondern ein Superstrat und gelangt erst in die Zeit der angelsächsischen Völkerwanderung und des neu entstehenden Nordseekulturraumes in die niederfränkischen Dialekte, weswegen Holländisch zwar viele nordseegermanische Einzelformen hat, aber in anderen Teilen deutscher aussieht als Friesisch und Niederdeutsch.

Hier kannst du di sülven ein Bild van de Studie måken:

https://www.nature.com/articles/s41586-022-05247-2

Waren die Germanen am Ende doch Germanen?

Ein wenig beachteter Aufsatz von Ludwig Rübekeil.

Die oft wiederholte Behauptung, Cäsar habe die Germanen erfunden und das daraus abgeleitet Narrativ, die Germanen hätten keine gemeinsame Identität besessen, ist sicher politisch korrekt, sind diese beiden voneinander abhängigen Thesen aber auch faktisch richtig? Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich, ob intendiert oder nicht, ein bereits 1992 in Innsbruck erschienener Aufsatz von Ludwig Rübekeil. Rübekeil veröffentlichte unter dem Titel “Suebica. Völkernamen und Ethnos” einige Thesen zur Ethnogenese und Selbstbestimmung der Germanen, die das Narrativ vom unbewussten und fremdbenannten Germanen gehörig durcheinander wirbeln. Umso erstaunlicher, dass, obwohl Rübekeil ein anerkannter Germanist ist, diese Thesen kaum widerhallen. Ich will versuchen, im folgenden einige Kernthesen Rübekeils zusammen zu fassen. Auf eine Wiedergabe der zum Teil sehr ausführlichen und komplizierten etymologischen Herleitungen verzichte ich hier.

Rübekeil geht zunächst von einer interessanten Beobachtung aus, nämlich dass die meisten Völker sich selbst als “das Volk” oder als “die Menschen” betrachten, woraus folgt, dass die Fremden dann andere sind, zwar auch Menschen, aber eben irgendwie anders. Das bekannteste Beispiel ist sicher das Wort “Inuit”, das bei uns nach und nach die Fremdbezeichnung “Eskimo” ersetzt, aber eben auch nur “Mensch” bedeutet. So bezeichnet der Inuit sich selbst, wer sind aber die anderen? Dieser Fragestellung widmet Rübekeil ein weites Kapitel und geht verschiedenen Gedanken dazu nach. Für unsere Fragestellung wichtig ist: Gibt es etwas vergleichbares bei den Germanen? Nun ist schon öfter aufgefallen, dass die Germanen ein gemeinsames Wort für “Fremde” haben, nämlich die “Welschen”. Das von einem keltischen Stamm entlehnte Wort wird für alle Kelten, aber auch für Romanen oder gar für Hunnen benutzt (nicht so aber, so Rübekeil, für Finnen, für Balten oder Slawen). Der andere Germane ist aber kein “Welsche”, auch wenn man ihn nicht versteht. Offensichtlich standen die Germanen während ihrer Ethnogenese und bei ihrer Ausbreitung in einer besonderen Konkurrenz zu den Kelten. Das Wort nehmen sie mit nach Britannien und so werden die Angelsachen Nachbarn der “Waliser”. Rübekeil beschreibt dieses besondere Verhältnis der Germanen zu den Kelten übrigens nicht an der Situation im Norden, wo es ja auch bestanden haben muss, oder an einem gegenseitigen Kampf um die Deutungshoheit über den Nordwestblock (den, wie umstritten er auch sein mag, es auch gegeben haben wird, Anm. von mir), sondern am “Mirkwald”, dem dunklen Wald, der den Süden der Germania zu den Kelten abgrenzte. Dieser Raum wird in späterer Zeit germanisiert und so rückt der Düsterwald in’s Mythische.

Statt Cäsar zum Kronzeugen für die Verhältnisse Germaniens zu machen, scheint es lohnenswerter zu sein, doch bei Tacitus zu schauen (warum ausgerechnet Cäsar, der vor allem seine gallischen Abenteuer rechtfertigen wollte, ein neutraler Beobachter sein sollte, hat sich zum Beispiel mir, der ich im Lateinunterricht sogar mit dem dünnen Wortschatz des Römers zu kämpfen hatte, nie erschlossen). Zu durchsichtig war seine künstliche Grenzziehung: Hier Rhein, da links Gallier, rechts Germanen. Das ist natürlich grob vereinfacht und so schreibt es Cäsar auch nicht, aber es ist seine Intention, schließlich hatten ihn die Gallier um Hilfe gerufen, da die Sueben über den Rhein gekommen waren. Auch Tacitus, der die Germanen aus eigener Anschauung kaum kannte, hatte natürlich Intentionen, wie jeder der schreibt und über fremde Völker berichtet. So wollte Tacitus den Römern sicher einen Spiegel vorhalten und schildert die Germanen als “edle Wilde”. Man täte ihm aber unrecht, wenn man ihn als einen Fälscher ansieht, der als ein Vorläufer von Margared Mead sich Dinge zurecht erfindet, um seine eigenen gesellschaftspolitischen Thesen zu untermauern.

Was war nun die Selbstbezeichnung der Germanen? Nach Tacitus behaupten die Germanen von einem Zwitterwesen namens Tuisto abzustammen, beziehungsweise von diesem stammt Mannus ab und diesen nennen die Germanen ihren Vorfahren. Die Germanen wären also Manni, sie wären schlicht Männer im Sinne von “die eigentlichen Menschen” (nicht unbedingt in einem ausschließlich männlichen Sinn). Von diesem Mannes wiederum stammen drei Kultverbände ab, die Ingwäonen, die Hermionen und die Istäwonen. Was es damit auf sich hat, wird an späterer Stelle zu untersuchen sein. Hans Kuhn hat dazu bereits 1957 einen sehr klugen Aufsatz vorgelegt.

Natürlich ist auch den sich von Mannus herleitenden “Männern” klar, dass es andere Menschen gibt, eben die fremden, die Welschen und dass diese auch Menschen sind, wenn auch Feinde. Und auch sind nicht alle Nachbarn unbedingt Feinde, die Finne-Ugrier und die Balten können auf irgendeine Weise sogar Freunde sein, sie sind aber dennoch etwas anderes. Auch verrät die Idee des Tuisto und des Mannus deutlich ihre Indo-europäische Gestalt. Sie ist also vermutlich alt, möglicherweise älter als die “Germanisierung”, die – wo immer auch (vermutlich im Umfeld der Ostsee) sie begonnen hat, sich am Ende der Brotzeit, spätestens wohl um 500 v. Chr. vollzieht, in einigen Gegenden aber, dem Nordwestblock, möglicherweise aber auch in Teilen Jütlands (die Namen der Kimbern und Teutonen sind bekanntlich noch nicht lautverschoben) sich sogar bis zur Zeit Cäsars hinzieht. Und sicher hat Cäsars Eingreifen den Prozess beschleunigt. Waren zum einen die Konkurrenten auf dem Festland, die Kelten geschwächt, wurden zum anderen die Völker zwischen Kelten und Germanen, so es sie da noch gab, in einen Abwehrkampf gegen Rom verwickelt, der Entscheidungen herbei zwang. Die Idee, dass dadurch erst die Cherusker vollständig germanisiert wurden ist bekannt. Vermutlich, um die gemeinsame Abstammung von Mannus zu verdeutlichen, wurde der Sammelname “Sueben” für die Selbstbezeichnung gewählt. Es ist sicher kein Zufall, dass der Name in zwei Varianten, einmal auf dem Kontinent als “Sueben” ein andermal in Skandinavien als “Suionen/Sithonen” vorliegt. In beiden Fällen scheint die Wurzel “Sich selbst gehörig, verwandt” zu bedeuten, also in das etymologische Umfeld von Schwager und Geschwister zu gehören. In beiden Fällen sind es Sammelnamen und keine echten Stammesnamen, eine Doppelung, die die Germanen sonst eigentlich versuchen zu vermeiden (so wurden aus den Neu-Sachen die Angelsachen und aus den Niedersachen die Altsachen). Da wo Doppelungen auftreten scheinen Beziehungen, sei es durch gemeinsame Abstammungen, sei es durch Gefolgschaften, die den Ethnos über das Meer tragen (Goten und Gauten) vorzuliegen. Suebe/Schwede wäre also eigentlich der Name der Germane und er bedeutet schlichtweg so viel wie “Wir” und Germane wäre eine gallisch-römische Übersetzung, die so Rübkeils tolle wie kühne These durch den Suebenkönig Ariovist selbst veranlasst wurde (der übrigens Keltisch als Fremdsprache beherrschte). Damit hätten die Germanen eben, anders als im Fall “Barbaren”, wo sie sich politisch korrekt beim Thing über den Germanennamen lustig machen, sehr wohl gewusst, dass sie Germanen waren und sehr wohl über ein gemeinsames Ethnos verfügt. Diesen darf man sich gewiss nicht im Sinne einer modernen Nation vorstellen. Gleichwohl kann über Kultgemeinschaften, schlicht auch über die Feststellung einer gemeinsamen Sprache, ein “Wir”-Gefühl bestanden haben (wenn nicht sogar neben kultischen Bünden aus dem Umkreis der Gefolgschaft die gemeinsame Sprache sogar von Anfang an ein besonderes Identifikationsmittel war, also nicht nachträglich entdeckt werden musste). So erklärt sich auch der riesige “suebische” Block, von dem wir nicht genau wissen, wen wir dazu zählen sollen. So erklärt sich vielleicht sogar die Mode des Suebensknotens als eine Art “Ethnologie-Look” germanischer Krieger. So erklären sich vor allem Stammesnamen wie “Markomannen”, das sind “die Mannen”, also eigentlich “unsere Menschen” an der Grenze. So erklärt sich, wie der Stammesname der Alemannen entsteht, der zunächst einmal gar nichts heißt, als dass eben Germanen aus verschiedenen Stämmen, hauptsächlich wohl aus den elbgermanischen Gebieten, gegen den Limes rücken. Und die Ergänzung von mir: Möglicherweise bewahrt sogar die Bezeichnung “Nordmannen” eine Erinnerung daran, die ursprünglich nichts hieß als “Germanen nördlich der Elbe”. Und so kann auch erklärt werden, wie in der späteren Alemannia der Suebennamen auf einmal wieder auftaucht (denn dieser Name war Synonym für Alemannen und nie wirklich verschwunden) und sich nun ein Stamm herauskristallisiert, der sich die “Schwaben” nennt, also die ursprüngliche Allgemeinbezeichnung einengt, ebenso wie sich von den “Schweden” Gauten und Dänen abspalten und schließlich die “Svear” ein eigenes Volk werden. Im Schweden übrigens wurde die Verdeutlichung gleich zweimal vollzogen, so finden wir denn auch den Namen “Svithjod”, also die Schweden-”Deutschen” oder das Schwedenvolk, so als müsste man noch mal erklären, dass die Schweden das eigentliche nordische Volk seien (eine Namensbildung, die sonst nur bei den Goten bezeugt ist).

Soweit Rübekeil. Mit der Abwanderung der verschiedenen elbgermanischen Völker entleert die Germania aber ihr wichtigstes Zentrum und eines ihrer ältesten Gebiete (da, wo Jastorf und die Nachfolgekulturen der nordischen Bronzezeit aufeinander trafen, sich wechselseitig beeinflussten). Wenig später beginnen sich im Westen neue Großstämme zu bilden, insbesondere die Franken und die, ursprünglich auch aus dem Norden, eventuell Jütland stammenden Sachsen. Mit der Abwanderung eines Großteils der Jüten, Angeln und nördlichen Sachsen (falls sie denn sowieso nichts anderes waren als seeräuberische Angeln) wird das germanische Kontinuum unterbrochen. Slawen rücken nach bis nach Holstein. Nordgermanien ist nun nicht mehr Nachbar der Nordseegermanen (mit denen es Gemeinsamkeiten zu teilen scheint), sondern rückt weit an das sächsische Binnenland heran und die neue, sich langsam entwickelnde Sprachgrenze wird hier zusätzlich noch teilweise unterbrochen von den sprachfremden Slawen. Der gemeinsame “Sueben”-Name hat in dieser Zeit schon andere Bedeutungen angenommen und ist nur, wenn überhaupt blasse Erinnerung. Ganz sicher werden noch bis zur Christianisierung die germanischen Völker ihre kulturelle Nähe empfunden habe, es deutet sich aber an, dass drei verschiedene Gruppen entstehen: Skandinavier, die ihre Sprache bald die “dänische Zunge”, bald “nordische Rede” nennen, die Nordseevölker aus denen Angelsachen und Friesen erwachsen und der Kontinent, in dem später ein neuer, alter Sammelnamen überdachend werden soll: Deutsch. Die Ostgermanen sind schon vorher eigene Wege gegangen und ihre vielen Reiche auf römischen Boden werden alle nach und nach vergehen.

Nach dem Entsetzen über das dritte Reich und dem Germanenmissbrauch der Nazis, mag es verständlich sein, dass Skandinavier, ja selbst Niederländer keine Germanen mehr sein wollen. Und so zitieren wir weiter fleißig Cäsar und bauen darauf eine These auf, die genauso politisch gefärbt ist wie der Traum einer einstmals wie auch immer bestandenen pangermanischen Einheit. Dass diese Einheit kein Großreich war, sondern ein Verbund sprachverwandter Stämme mit gemeinsamen Kultzentren spricht hingegen nicht gegen die Vorstellung einer gemeinsamen “mythischen” Abstammung. Dass “Schwabe” und “Schwede” dem Sinn nach möglicherweise das gleiche Wort ist, mag uns heute einigermaßen befremden und auch belustigen, ein Trost mag sein, dass es grob vereinfacht beinahe den äußersten Süden und beinahe den äußersten Norden der germanisch sprechenden Völker umfasst und auch der von den Romanen gewählte Name für Deutschland “Alemannia” ist so falsch dann nicht.

Snorre Martens Björkson

Cäsar, De bello gallico

Tacitus, Germania

Ludwig Rübekeil, Suebica. Völkernamen und Ethnos, Innsbruck 1992