Plattdeutsche sind beim Lesen skandinavischer Texte, insbesondere beim Schwedischen, immer wieder überrascht, wie ähnlich das aussieht und wie gut man sich viele zusammenreimen kann. Der Abstand scheint zwar größer als zum Niederländischen (Holländischen), doch kann man in der Regel zumindest erfassen, wovon ein Text handelt. Noch deutlicher ist es bei kurzen Texten, die zum Beispiel mit Handel zu tun haben oder ganz ganz alltäglichen Dingen wie Mahlzeiten. Beim Hören entsteht dann doch eine gewisse Irritation, da der Plattdeutsche nur weniges erahnen kann. Das war möglicherweise nicht immer so! Hier muss auch darauf hingewiesen werden, dass Plattdeutsche oft Schwierigkeiten haben, andere Plattdeutsche zu verstehen und hier mit einer bemerkenswerten Verweigerung antworten nach dem Motto: “Dat is nich us Platt!” Wer einmal Fernsehsendungen aus der Schweiz gesehen hat, hat den Eindruck, dass am germanischen Südrand ganz anders mit dem Problem der Mundartabweichungen umgegangen wird. Es scheint ein speziell “niederdeutsches” Phänomen zu sein. Man kann sagen, die Plattdeutschen haben da einen Knacks. Dieser mag in dem Gefühl einer gewissen sprachlichen Minderwertigkeit begründet sein, auch steht allen Niederdeutschen das Hochdeutsche gleichmäßig wie ein erratischer Block gegenüber. Der Abstand vom Niederdeutschen zur Hochsprache ist viel größer. Die Lautverschiebung der Deutschen macht eine Grenze, die das Wechseln von Dialekt zur Hochsprache für Niedersachsen, noch mehr für Friesen natürlich, fast unmöglich macht, während Oberdeutsche munter zwischen Standard und Dialekt wechseln können. Diesen Bruch zwischen den Sprachen könnte man durchaus vergleichen mit dem Bruch zwischen Niederdeutsch und Skandinavisch auf der anderen Seite, was zu einer besonderen Mittelstellung des Niederdeutschen führt. Zwar erscheint uns die westgermanische Einheit stärker, wir gehen hier von einem Dialektkontinuum aus, das in Wirklichkeit aber zahlreiche kleine Bruchstellen und Gräben hat, dies kann aber auch Ergebnis eines Ausgleichsprozesses sein: Der Niederdeutsche hat seit der Reformation die hochdeutsche Sprache vor der Nase, er ist sie also gewohnt und sie wirkt schon seit der Christianisierung durch die Franken auf seine Sprache ein. Kurt Braumüller weist in seinem Aufsatz “Das Niederdeutsche als Verständigungssprache im Ostseeraum im Zeitalter der Hanse” darauf hin, dass wir für die Hansezeit keine Hinweise auf Dolmetschertätigkeiten zwischen Niederdeutschen und Skandinaviern haben (anders als zwischen Norddeutschen und Russen zum Beispiel). Ähnliches wurde übrigens bereits für das Altenglische und das Altnordische bemerkt. Auch dort können wir vorsichtig von einer gewissen Verständigungsmöglichkeit ausgehen. Aber was heißt das? Durch die Überdachung der Nationalsprachen sind wir es immer weniger gewohnt, dem Dialektsprecher “verstehen zu wollen”. Vermutlich fanden nicht tiefphilosophische Gespräche zwischen Niederdeutschen und Skandinaviern statt, aber durchaus Gespräche über Handelsangelegenheit. Zahlen, Worte für Handel, für Schiffe, für alltägliche Dinge waren ähnlich. Zwar stehen sich heute eine westgermanische Einheit (aus der Englisch aber wieder rausfällt und Friesisch sich dem Kontinuum entzieht) und ein nordgermanisches Kontinuum (ohne Island) gegenüber, dies ist aber sicher nicht der germanische Urzustand (anders Braunmüller, der Jütisch für Westgermanisch hält). Der harte Bruch, der durch die Abwanderung der Angelsachsen und die zum Teil nach Holstein eingewanderten Slawen bewirkt wurde, lässt sich wie folgt erklären: Im Kontinuum ändert sich die Sprache nach und nach. Wer vom Alemannischen langsam bis nach Schweden reiste, konnte ein allmähliches Verändern der Sprache bemerken. Zuweilen waren stärkere Brüche da, aber niemals ging der Zusammenhang völlig verloren. Nun rückten aber Sachsen und Dänen gegen einander und das Übergangsgebiet der Angeln und Jüten war verloren gegangen (wie sehr übrigens dieses Kontinuum gewirkt hat zeigt das Friesische, das vermutlich schon über die Jüten, aber auch über Dänen skandinavische Einflüsse zeigt). Dennoch hatte das Sächsische, bzw. Niederdeutsche das Zeug diesen Graben zu überwinden. Die Missionierung ging vom sächsischen Bremen aus. Die Hanse wirkte besonders stark auf Skandinavien ein. Dass das ausgewanderte Englisch heute zur Lingua Franca der germanischen Völker zu werden scheint, ist sprachlich keineswegs die beste Lösung, es ist lediglich politischen Entwicklungen geschuldet. Englisch verhält sich in vielen Dingen zwar wie die niedersächsische Schwestersprache, ist aber durch die zahlreichen romanischen Vokabeln vom Skandinavischen viel weiter entfernt. Hochdeutsch, das durch die Reformation bis nach Schweden wirkte, ist wiederum viel zu weit entfernt, es stellt ja den Südrand dar. In der Hansezeit wirkte Niederdeutsch ganz besonders auf Skandinavisch ein, insbesondere im Wortschatz, aber auch in der Struktur. Beide Sprachen haben, verglichen mit dem Deutschen, aber einen ähnlichen Flexionsabbau durchgemacht, so dass nicht große grammatikalische Probleme die Sprache trennen. Auffallend ist allerdings, dass die Nachbarsprache des Niederdeutschen, das Dänische, sicherlich vom Verstehen der die schwierigste skandinavische Sprache ist. Im Sinne alter Verwandtschaften wäre gerade das nicht zu erwarten. Gleichwohl zeigt das Nordfriesische starke Berührungspunkte milt dem Dänischen, so dass auch diese “Sprachgrenze” nicht unüberwindlich scheint.
Es wäre spannend, wenn man Skandinavier dazu gewinnen könnte, Plattdeutsch zu lernen und wenn sich plattdeutsche Sprechgewohnheiten mit skandinavischen durchmischen dürften. Für so ein offenes Ohr müsste man Abstand nehmen von der starken Orientierung an der Buchsprache oder der Idee, der “wahren” echten unverfälschten Sprache. “Richtig” kann hier nur sein, was “germanisch” ist und von anderen germanischen Sprechern bei halbwegs guten Willen und Interesse auch als verständlich wahrgenommen werden kann. Leider weicht jedoch die jüngste skandinavische Generation teilweise auf das Englische aus, anstatt sich vorsichtig mit der eigenen Varietät der anderen Sprache zu nähern. Ich erinnere mich noch gut, wie ich an einem Lagerfeuer mit Norwegern und Schweden saß und Englisch gesprochen wurde. Ich erinnere mich aber auch an den, übrigens aus Samiland (hier scheint sich die Mehrsprachigkeit positive ausgewirkt zu haben) stammenden norwegischen Freund, der nicht nur auch Dänisch und Schwedisch sprach, sondern sich sehr schnell und neugierig ein rudimentäres Plattdeutsch aneignete. Hier würde es aber gar nicht so sehr darum gehen, eine Mischsprache zu schaffen, denn Pidgin-Sprachen sind oft eher das Resultat sehr verschiedener, nicht verständlicher Sprachen (siehe dazu Kryzszto Janikowki “Niederdeutsch-dänische Beziehungen in der Hansezeit: Sprach- oder Dialektkontakt?”), sondern eine gewisse Schulung im Dialekthören zu stärken. Übernahmen wären nur da sinnvoll, wo besondere Vokabeln in einer Sprache fehlen, vielleicht ausgestorben sind, oder sie eine “mundartliche” Treffsicherheit in der Beschreibung haben, die in der eigenen Varietät fehlt.